Im Dezember 2022 verbrachte ich zwei Wochen in Venedig, in einer Wohnung in der Nähe des Rialto. Sie hatte ursprünglich der Südtiroler Autorin Anita Pichler (1948–1997) gehört und wird heute über die Literar-Mechana Wien, die Wahrnehmungsgesellschaft für Urheberrechte, an Autorinnen und Autoren vergeben.
In der „Serenissima“ darf man nicht hoffen, etwas Neues zu sehen oder zu erleben, dachte ich. Wider Erwarten fand ich in diesem lebenden Museum, in dem die Zeit verzögert zu sein scheint, in dieser Stadt schlechthin, die in einer endlos wirkenden Wiederholungsschleife dem Wasser abgerungen werden muss, nicht nur Muße, sondern auch Reflexionen der Geschichte, gespiegelt
in der Gegenwart. Ich begann, diese Überlagerungen mit der Kamera einzufangen. Und mir wurde klar: Venedig ist schon lange da, aber jeder, der dorthin kommt, kann es sich auf seine Art aneignen. Wasser stellt das Grundmotiv der dort entstandenen Gedichte dar. Die dazugehörige Fotoserie zeigt Spiegelungen, Rück- und Durchblicke. Venedig gehört schon lange nicht mehr sich selbst, es wird von Sehnsuchtsreisenden, von Künstlern und Touristen überschwemmt – angezogen von seinem Ruf, seinem Licht, und seiner Lage am Wasser, seinen Kanälen, Gebäuden und Plätzen. Sie trampeln nicht nur auf seiner Geschichte und in seinen Gassen herum, sondern versuchen auch, sich in seine Mauern einzuschreiben. Von dieser Aneignung erzählen die Fotos im zweiten Teil.
Wien, im Dezember 2023
Als Buch ist die Sammlung von Gedichten im Verlag arteimago erschienen